EXKURS INS PFLANZENREICH: DIE ROSE DES PARACELSUS

POSTED IN classic poetry May 16, 2022

EXKURS INS PFLANZENREICH: DIE ROSE DES PARACELSUS.
DIE IDEE DER PALINGENESIE UND DIE DEBATTE UM DIE NATÜRLICHE AUFERSTEHUNG ZWISCHEN MITTELALTER UND NEUZEIT

BERND ROLING

EINLEITUNG

 

In einer seiner Parabeln mit dem schönen Titel „Die Rose des Paracelsus“ läßt der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges einen Schüler die Studierstube des berühmten Naturphilosophen und Alchemisten Paracelsus betreten.1
Der junge Johannes Griesebach, so war sein Name, legt eine große Summe von Goldmünzen auf den Tisch, in der anderen Hand hält er eine Rose. Nach einem kurzen Wortwechsel, der schon ahnen lässt, dass der Schüler die Geheimnisse der Philosophie nicht durchdringen wird, fordert der junge Mann Paracelsus auf, einen Beweis zu erbringen, um den Wert seiner Lehren
zu beglaubigen. Paracelsus soll die Rose verbrennen und wiederauferstehen lassen. Borges lässt den Weisen eine mehrdeutige oder vielleicht auch eindeutige Antwort geben: Glaubst Du, jemand könnte diese Rose vernichten? Hatte Adam im Paradies nur einen Grashalm vernichten können? Sind es nicht nur die Erscheinungen, die sich in Wirklichkeit verändern? Griesebach wirft die Rose in die Flammen, doch Paracelsus macht keine Anstalten, die Rose wieder aus ihrem Staub erstehen zu lassen, weder durch ein magisches Wort, wie man hätte erwarten können, noch durch den Brennkoben seines Laboratoriums und besondere Instrumente. War Paracelsus also ein Scharlatan und Phantast, wie es den Schüler dünkt, der einen unendlichen Augenblick lang auf die neue Rose wartet?
Wie so viele der Geschichten des argentinischen Erzählers erscheint auch diese auf den ersten Blick wie ein Spiel mit Metaphern, eine Geschichte über den Glauben und den Unterschied zwischen wahrer und falscher Erkenntnis. Gerade heute mag sie auch ein Lehrstücksein sein über die Ökonomisierbarkeit von Wissen, das in Module gepresst lieber evaluierbare Kompetenzen vermitteln möchte, als bis zur wirklichen Erkenntnis vorzudringen. Wie so oft in den Erzählungen Borges erkennt man jedoch auch, daß die geschilderten Begebenheiten nicht nur der Metaphysik als Bühne dienen sollten, sondern
mit tiefem Fachkenntnis durchsetzt waren, Fachwissen, auf das Borges für seine Leser nur noch anspielen musste. In den großen Forschungsbibliotheken der Welt konnte sich der Dichter seiner Mitverschworenen sicher sein; die anderen hatten ihn vielleicht nie interessiert.
Die Rose war keine Erfindung des Romanciers, sondern sollte ebenso eine Theorie bezeugen, wie sie ihre praktischen Umsetzung unter Beweis stellte.
Sie dokumentierte die Möglichkeit einer natürlichen Auferstehung, die nicht nur Pflanzen betraf, sondern auch den Menschen und seinen Körper miteinschließen musste. Diese Möglichkeit einer natürlichen Wiederstellung, die man vor allem im 17. Jahrhundert als Palingenesie bezeichnen konnte, soll hier im folgenden Thema sein. Drei Dinge sollen zu diesen Zweck geleistet werden.
Zunächst werden die für die christlichen Konfessionen verbindliche Lesart der Auferstehung rekonstruiert, wie sie die Theologie des Hochmittelalters etwa ab dem 13. Jahrhundert hatte etablieren können. In einem zweiten Schritt sollen Autoren vorgestellt werden, die im Mittelalter tatsächlich die Möglichkeit einer natürlichen Auferstehung gelehrt haben. Der dritte Teil wird dann den Gelehrten gebühren, die in die Tat umsetzen konnten, was die Theologie zuvor nur als Option proklamiert hatte, die Auferstehung. Wir werden sehen, daß sich diese Praktiker der leiblichen Wiederherstellung in ihren Versuchsanordnungen tatsächlich bis zum Menschen emporarbeiten konnten.

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1. Ich danke der Alten Abteilung der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, der
Staatsbibliothek Berlin und dem Thomas-Institut der Universität Köln für ihre Hilfe bei der
Erstellung dieser Studie. Ein Teil ihrer Thesen wurden auf Vorträgen in Göttingen, Innsbruck
und Prag diskutiert; allen Diskutanten sei ebenfalls herzlich gedankt. Gewidmet ist diese
Arbeit Magdalena Biela-Nastase (Riihimäki/Finnland).

2. Borges Jorge Luis, „La rosa de Paracelso“, in Obras completas, 4 vols. (Barcelona: 1996), vol. III,
387–389. Deutsch als Borges Jorge Luis, „Die Rose des Paracelsus“, in Erzählungen 1975–77
(Gesammelte Werke, vol. IV), übersetzt von D.E. Zimmer (München: 1982) 105-108

 

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EXCURSION INTO THE PLANT KINGDOM: PARACELSUS’ ROSE.
THE IDEA OF PALINGENESIS AND THE DEBATE ON NATURAL RESURRECTION BETWEEN THE MIDDLE AGES AND MODERN TIMES

BERND ROLING

INTRODUCTION

 

In one of his parables with the beautiful title “The Rose of Paracelsus”, the Argentinian writer Jorge Luis Borges has a student enter the study of the famous natural philosopher and alchemist Paracelsus.1

The young Johannes Griesebach, that was his name, places a large sum of gold coins on the table, holding a rose in his other hand. After a brief exchange of words, which already foreshadows that the student will not penetrate the mysteries of philosophy, the young man asks Paracelsus to produce proof which could authenticate the value of his teachings. Paracelsus is told to burn the rose and resurrect it. Borges has the wise give an ambiguous or perhaps unambiguous answer: Do you think anyone could destroy this rose? Was Adam only able to destroy a blade of grass in paradise? Is it not only the appearances that change in reality? Griesebach throws the rose into the flames, but Paracelsus makes no effort to make the rose rise again from its dust, neither by a magic word, as one might have expected, nor by the burning chamber of his laboratory and special instruments. Was Paracelsus, then, a charlatan and a fantasist, as it seemed to the student who waits an interminable moment for the new rose?
Like so many of the stories of the Argentinian narrator, this one too appears at first glance to be a play with metaphors, a story about faith and the difference between true and false knowledge. Today in particular, it may also be a lesson about the economisation of knowledge, which, pressed into modules, would rather impart valuable competences than penetrate the real knowledge. As is so often the case in Borges’ stories, however, one also recognises that the incidents described were not only meant to serve as a stage for metaphysics, but were interspersed with deep expertise, specialised knowledge that Borges only had to allude to for his readers. In the great research libraries of the world, the poet could be sure of his co-conspirators; the others had perhaps never interested him.
The rose was not an invention of the novelist, but was as much intended to testify to a theory as it was to prove its practical implementation.
It documented the possibility of a natural resurrection, which did not only concern plants but also had to include the man and his body. This possibility of a natural resurrection, which could be called palingenesius, especially in the 17th century, will be the subject of the following. Three things are to be done to this end.
First, the reading of the resurrection that was binding for the Christian denominations will be reconstructed, as the theology of the High Middle Ages had been able to establish it from about the 13th century onwards. In a second step, authors will be presented who actually taught the possibility of a natural resurrection in the Middle Ages. The third part will then be devoted to the scholars who were able to put into practice what theology had previously only proclaimed as an option, the resurrection. We will see that these practitioners of bodily restoration were actually able to work their way up to the human being in their experimental arrangements.

1. I would like to thank the Old Department of the Göttingen State and University Library, the Berlin State Library and the Thomas Institute of the University of Cologne for their help in preparing this study. Some of their theses were discussed at lectures in Göttingen, Innsbruck and Prague; my sincere thanks also go to all the discussants.
This work is dedicated to Magdalena Biela-Nastase (Riihimäki/Finland).

2. Borges Jorge Luis, “La rosa de Paracelso”, in Obras completas, 4 vols. (Barcelona: 1996), vol. III, 387-389. German as Borges Jorge Luis, “Die Rose des Paracelsus”, in Erzählungen 1975-77 (Gesammelte Werke, vol. IV), translated by D.E. Zimmer (Munich: 1982) 105-108.


PROF. DR. BERND ROLING

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